
Ein Menschenleben Frieden | 56-4
Es ist Anfang August, wenn ich diese Andacht schreibe. Es ist Ferienzeit und auch ich bin eben aus dem Urlaub in Frankreich zurück. Zuhause angekommen ist Sommer aber ohne Nachrichten-Sommerloch – zu viel passiert gerade in der Welt. Aktuelles und Erinnerungen vermischen sich: Berichte aus den Kriegen in der Ukraine und Gaza erreichen uns und lassen viele traurig, ratlos, manche auch wütend zurück. Daneben klingt der eindringliche Appell zum Frieden ausgesprochen vom Bürgermeister von Nagasaki. Jetzt Anfang August erinnern sich die Menschen dort und mit ihnen die Welt an die Atombomben, die 1945 auf Hiroschima und Nagasaki abgeworfen wurden. Japan kapitulierte. Damit war der Zweite Weltkrieg auch im Pazifik beendet. Der letzte große Krieg, der die Welt mit unzähligen Toten, Verwundeten und Vertriebenen zurückließ. Jetzt im Sommer 2025 gedenken wir an sein Ende vor 80 Jahren.
80 Jahre, das ist ein Menschenleben – wenn es gut läuft. Schon der Psalmbeter weiß das, wenn er sagt: „Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn‘s hoch kommt so sind‘s achzig Jahre.“ (Psalm 90,10)
80 Jahre – ein Menschenleben – im Frieden. Was für ein Glück.
Ich lasse das erst einmal stehen. Einfach so: 80 Jahre Frieden – das ist ein Glück.
Und dann lasse ich alle Einwände gelten: Ein Leben im Frieden meint nicht ein Leben ohne Leid und Tod. Ja, das stimmt. Und: Nicht alle, die bei uns leben, haben keinen Krieg erlebt. Auch das stimmt: Manche sind so alt, dass sie noch erzählen können, vom Zweiten Weltkrieg und seinen Auswirkungen u. a. auf Väter, die spät aus der Kriegsgefangenschaft kamen, oder von der Heimat, die auch noch nach 1945 verlassen werden musste. Manche sind viel jünger als 80 und leben doch als Kriegsflüchtlinge unter uns. Sie haben Krieg seither erlebt, auch in Europa.
Ich erlaube mir dennoch zu sagen: 80 Jahre – ein Menschenleben – Frieden hier bei uns, das ist ein Glück. Eines, von dem es lohnt zu erzählen. Genauso oft und leidenschaftlich wie vom Krieg. Damit wir uns erinnern, was wir Kostbares haben am Frieden. Und damit uns das Erzählen Hoffnung gibt, wenn wir uns erinnern: Frieden geht. Frieden ist möglich.
Also erzähle ich. Erzähle vom Sommerurlaub in Frankreich, fahrradfahrend von Ort zu Ort. Erinnerungen an den Krieg finden sich in jedem Dorf, manchmal auch die Erinnerung an Gräueltaten von Deutschen an französischen Zivilisten. Dann entdecke ich am Eingangsschild des Ortes Santenay den Hinweis auf die Partnerstadt Bacharach in Rheinland-Pfalz. Später finde ich in einem Museum den ersten hydraulischen Hammer, in Miniformat nachgebaut von einem deutschen Gymnasium. In einer Unterkunft treffen wir einen jungen Mann aus London mit indischen Wurzeln, der auch mit dem Fahrrad unterwegs ist. Auf einem Campingplatz Holländerinnen und Holländer. Franzosen sowieso. Verständigung klappt immer irgendwie und sie ist so selbstverständlich, als habe es in Europa nie etwas anderes gegeben als Frieden. Als ich zurückkomme, denke ich viel darüber nach, wie viel Arbeit es war, damit wir in Europa in Frieden miteinander leben. Begegnung, Versöhnung, Vertrauen war nötig. Ich schaue dankbar auf die, die es gewagt haben und weiß: Jetzt sind wir dran, dran zu bleiben. Auch indem wir erzählen aus 80 Jahren Frieden in Mitteleuropa.
Wenn Sie an 80 Jahre Frieden denken, wovon können Sie erzählen? Wenn Sie mögen, schreiben Sie mir oder erzählen Sie jemandem von Ihren Erfahrungen. Machen Sie ein Loch in die Nachrichten unserer Tage und füllen sie es für einem Moment mit einer Erzählung vom Frieden.
Mit herzlichen Grüßen
Pfarrerin Sophia Döllscher