Bald | 53-2
Januar und Februar sind für mich die längsten Monate des Jahres. Auch dieses Jahr wieder hatte mir die Wintersonnenwende um Weihnachten herum die Hoffnung gemacht, dass jetzt bald der Frühling beginnt. Aber hier sitze ich und schreibe Euch, ihr Frühlingskinder. Es ist Ende Januar, der Regen schlägt an die Scheibe, dahinter ist es grau in grau. Vor mir aufgeklappt das Buch der Psalmen. „Gott, tröste uns wieder und lass leuchten dein Antlitz, so genesen wir.“ Das Grau in Grau dehnt sich ins Unendliche aus. Es veranlasst mich dazu, mich in die Tiefen meines Baus vergraben zu wollen, die Decke über den Kopf zu ziehen, die Welt um mich herum zu vergessen. Denn das nicht enden wollende Nasse, Kalte, Graue da draußen regt all das Nasse, Kalte und Graue in meinem Inneren dazu an, sich wohl zu fühlen. Es reckt sich und streckt sich, und weil es merkt, ich tu nichts dagegen, macht es das verbrannte Mittagessen und den leeren Handyakku zu einer Katastrophe mittleren Ausmaßes. Vom Klimawandel und der Pandemie, die schon vor einem Jahr hätte vorbei sein sollen, ganz zu schweigen. Winterblues wird das bisweilen verniedlichend genannt. So als hätte es eine zwar etwas melancholische, aber doch irgendwie auch hübsche Melodie.
Ich hoffe, ihr könnt darüber nur lachen, ihr März-, April-, ihr Maikinder!
Gott lässt sein Antlitz leuchten und ihr seid seine Zeug*innen. Ihr befindet euch mitten in der Auferstehung dieser Welt. Ihr könnt sie in euch aufsaugen, die Farben des Frühlings – sanftzartes Rosa, sattes Grün, herzerfüllendes Gelb, belebendes Rot, anschmiegsames Lila.
Ihr dürft sie sehen, die Blumenkelche, die ihre Köpfe der Sonne entgegenrecken – die Buschwindröschen im wiegenden Wald, die Krokusse auf den feuchten Wiesen, die überbordenden Beete voller Tulpen und Narzissen.
Ihr dürft sie riechen, die Düfte Osterns. Sie riechen nach frisch gewaschener Wäsche, die sich fröhlich im Wind dreht. Nach ofenwarmem Brot und süßsäuerlichem Wein im Kreis von guten Freunden. Sie riechen nach Klarheit, nach neuen Wegen, nach Lebenskraft.
Gott lässt sein Antlitz leuchten. Alles ist schon da. Es wird Euch geschenkt. Nehmt Euch Euren Teil, ihr Frühlingskinder, der Winter war lange genug.
Ihre Vikarin Dorothea Ugi