Was kann ich Ihnen heute schreiben, das noch Bestand hat, wenn Sie den Gemeindebrief in der Hand halten? Was kann heute Treffendes über Morgen gesagt werden? Die Zeit, in der wir leben, führt es eindrücklich vor Augen: Ein Augenblick ist schon zerronnen, bevor er greifbar wird. Wir leben immer nur im Jetzt. Was gestern noch galt, hat heute schon keine Bedeutung mehr. Da kommt mir Kohelet in den Sinn, der „Prediger Salomos“. Er würde sagen: „Windhauch um Windhauch, Windhauch um Windhauch, alles vergeht und verweht.“
Kohelet denkt und schreibt in einer Zeit und einem Raum, in der die Rede davon ist, dass bald alles ein Ende nehmen wird, eine Zeit, in der die Apokalypse heraufbeschworen wird. Die drohenden Jenseitsszenarien stellen hohe, überstrapazierende Anforderungen an das Leben. Kohelet ist das zu viel. Er macht da nicht mit. Er bewahrt die Ruhe.
Ich stelle ihn mir vor, wie er sich, in der Sonne liegend, die Nase kitzeln lässt. Ich lege mich neben ihn. Kann ja nicht schaden. Eine Weile beachtet er mich gar nicht. Dann raunt er mir sonnenschläfrig zu: „Die Sonne geht auf und geht unter. Und jedes Mal drängt sie an ihren Ausgangsort zurück, wo sie wieder aufgehen wird. Es gibt nichts Neues unter der Sonne.“ Er macht mich fassungslos.
„Bist du denn gar nicht beunruhigt, verunsichert, genervt von diesem ganzen Hin und Her?“
„Es kommt so, wie es kommt. Was hilft es, sich abzumühen daran? Es bringt nur schlaflose Nächte. Und ändern tut es nichts.“
„Das sagt sich ja leicht daher…“, erwidere ich unwillig.
„Ja, es sagt sich leicht daher. Aber eigentlich tut es sich nicht so schwer. Der erste Schritt hat schonmal geklappt: Du hast dich dazu gelegt. Und jetzt: Schau mal nach oben. Sieh dir den Himmel an. Wie die Wolken vorüberziehen, sich transformieren, auflösen. Wie die Sonne hindurchscheint, sich kurze Zeit versteckt. Wie ihr Feuer, das in 150 Millionen Kilometern brennt, jetzt und hier deine Haut wärmt. Spür mal, wie der Wind die kleinen Härchen auf deiner Haut bewegt. Spürst du es?“
Ich versinke in die Tiefe des Augenblicks. Es sind Momente der Ewigkeit. In denen sich die Zeit auflöst. In denen sich die Geister des Gesterns und des Morgens verflüchtigen. Leben im Jetzt. Ich beginne zu verstehen, wovon er spricht.
Mein Wecker klingelt mich aus meinem Tagtraum. Gleich bin ich mit einer Freundin zum Eis-Essen verabredet. „Das Leben ist ein Geschenk!“, ruft er mir hinterher, als ich mich fertig mache zum Losgehen. „Vergiss das nicht!“ Ich vergesse es nicht, denk ich bei mir. Und schreibe mir in mein Notizbuch: „Gemeinde¬brief: Kohelet!“
Ihre Vikarin Dorothea Ugi